Wer über Hexenverfolgungen nachdenkt und
danach vielleicht sogar etwas schreibt, kommt schnell in Teufels
Küche. Wenn's um Hexen geht, sind zu viele Interessen im
Spiel.
Als ich meine Aufsätze für das Buch der Ländlichen
Akademie Krummhörn (LAK, "Achter kolle Müren. Beiträge
zur Hexenverfolgung", 2002) schrieb, wurde mir das sehr bald
klar. Ein allgemein gültiges Bild "der Hexe" zu
zeichnen, ist nicht möglich. Es gibt zu viele Spekulationen
und hinter jeder Spekulation andere Interessen. Dahinter verschwimmt
alles, was man über die Beschuldigten und Verbrannten weiß,
außer ihrem tiefen Leid, ihrer tiefen Erniedrigung.
Ein klareres Bild kann man sich von den Verfolgern, Richtern,
Henkersknechten und den johlenden Zuschauern machen. Selbstgerechtigkeit,
Machtrausch, Fühllosigkeit, Lüsternheit, Sensationslust
und Raffgier vereinen sie, auch diejenigen, die -heute noch Zuschauer-
morgen die nächsten Opfer sein können. Wer für
die Zukunft versuchen will, Hexenverfolgungen und Hetzjagden zu
verhinden oder vielleicht nur zu beschränken, muss sich mit
den Tätern auseinandersetzen. Die Auswahl der Opfer ist ohnehin
meist willkürlich. Die Hauptsache ist das Pogrom, das den
Tätern die Ablenkung von Missständen, die Sicherung
ihrer Herrschaft und den Zuschauern eine grausame Art von Unterhaltung
ermöglicht.
Politik, Macht, (Un-)Recht
Die Hexenverfolgungen müssen in einem historischen, politischen
Zusammenhang gesehen werden. Dies gilt im Großen, für
Europa, wie im Kleinen, für Ostfriesland. Das 16. Jahrhundert
brachte Unsicherheiten und tiefgreifende Veränderungen mit
sich, die die traditionellen Grundlagen der Herrschaft nachhaltig
erschütterten. Die kirchliche Ordnung wurde durch die Reformation
umgestürzt, und auch die weltliche Herrschaft wurde, wenn
auch von den meisten Reformatoren keineswegs beabsichtigt, durch
die Bauern- und Religionskriege bedroht. Luther hat schon sehr
früh auf der Seite der Fürsten Stellung genommen und
gefordert, die aufständischen Bauern zu erschlagen. Er hat
dazu gleichsam seine Absolution erteilt, den Fürsten die
willkommene Rechtfertigung gegeben.
Die Hexenverfolgungen gaben den Herrschenden, gleichgültig,
ob es sich um geistliche oder weltliche Herren handelte, die Möglichkeit,
ihren Einfluss aufrechtzuerhalten oder zu festigen. Die Hexenverbrennungen
waren dazu bestens geeignet, demonstrierten sie doch die Überlegenheit
der Macht und gaben Ausgestoßene als Hassobjekte frei. Letzteres
ist ein bis heute beliebtes Verfahren zur Herrschaftssicherung,
angewandt gegen alle Arten von Minderheiten. Sie eignen sich als
Sündenböcke, die für die Unzulängichkeiten
und die Ungerechtigkeit der Gesellschaft in die Wüste gejagt
oder gleich erschlagen werden können. Alle destruktiven Gefühle,
durch die Unterdrückung hervorgerufen, können auf die
Ausgestoßenen gelenkt werden.
In dem Bereich Ostfrieslands, der den Grafen unmittelbar unterstand,
fanden um die Mitte und am Ende des 16. Jahrhunderts Hexenverfolgungen
statt. Gingen die Verfolgungen in Aurich um die Mitte des Jahrhunderts
noch reibungslos über die Bühne, so kann am Ende des
Jahrhunderts, bei den Pewsumer Prozessen, davon keine Rede mehr
sein.
Das lag an zwei Gründen, die miteinander verknüpft sind:
1. wurden in den Pewsumer Prozessen zwei Frauen aus der Oberschicht,
zwei reiche Bauersfrauen aus Loquard, deren Ehemänner für
damalige Zeiten horrende Kautionssummen zahlen konnten und in
der Lage waren, sich politisch und rechtlich zu wehren, angeklagt.
Überall da, wo die Hexenprozesse diese Formen annahmen, waren
sie aus naheliegenden Gründen bald beendet. Und so sind auch
aus dem beginnenden 17. Jahrhundert nur noch Hexenprozesse aus
Gebieten Ostfrieslands bekannt, die nicht unmittelbar den Grafen
unterstanden.
Der zweite Grund war die abnehmende Macht des Grafen von Ostfriesland.
In Ostfriesland war am Ende des 16. Jahrhunderts die konfessionelle
Spaltung zwischen Lutheranern und Reformierten nahezu perfekt.
Diese Spaltung fand schließlich in der weitgehenden politischen
Loslösung Emdens in der Emder Revolutionvon 1595 ihre endgültige
Bestätigung. Der Graf hatte bis dahin mit allen ihm zur Verfügung
stehenden Mitteln versucht, das Schwinden seiner Macht aufzuhalten.
Bis heute bedauern viele Historiker, dass es den Grafen von Ostfriesland
nicht gelungen ist, den Grundstein für eine unangefochtene,
absolutistische Herrschaft zu legen, wie sie in anderen Gegenden
Deutschlands anzutreffen war.
Der Graf hatte bei seinen Versuchen der Festigung seiner Macht
auf vielen Gebieten überzogen, und auch die Pewsumer Prozesse
haben mit Sicherheit nicht dazu beigetragen, das Misstrauen der
ostfriesischen Stände zu überwinden.
Die konfessionelle Spaltung Ostfrieslands blieb in ihrer damaligen
Form nahezu unverändert bis zum heutigen Tage erhalten. Die
Versuche der Mennoniten, Einfluss zu gewinnen, wurden unterdrückt.
Sie verweigern den Kriegsdienst und waren und blieben daher gegenüber
den großen protestantischen Kirchen mit ihrer Nähe
zur politischen Obrigkeit völlige Außenseiter.
Jagdgesellschaft
In meinem Beitrag "Jagdgesellschaft" ziehe ich eine
Verbindung von den Hexen- und Judenverfolgungen der frühen
Neuzeit zur Ausrottung der Juden während des Dritten Reiches,
als die Nationalsozialisten ihre Macht in einem weitestgehend
christlichen Deutschland entfalteten.
Mit meiner Haltung geriet in Widerspruch zu einem Funktionsträger
der LAK, der zwar ein wenig kritisch erscheinen, aber deshalb
nicht gleich den Dingen allzu sehr auf den Grund gehen wollte.
Für ihn war es, wie wahrscheinlich für die meisten protestantischen
Ostfriesen, schon Neuigkeit und Ärgernis genug, dass Hexenverfolgungen
keine rein katholische Angelegenheit waren.
Ich lehnte die "redaktionelle Überarbeitung" meiner
Beiträge ab. Wir kamen überein, dass der Beitrag, der
ihm besonders unangenehm war, als Beilage erscheinen sollte. Leider
musste ich jedoch feststellen, dass sehr vielen Käufern des
Buches die Beilage vorenthalten wurde. Der Funktionär der
LAK ersparte somit fürsorglich den Lesern, die er anscheinend
für nicht mündig genug hält, das Nachdenken.
Ich fand Parallelen zwischen Rassenwahn und Hexenwahn, die
noch unerwünschter waren. Besonders die Person Martin Luthers
stellte ein Bindeglied dar: Er glaubte an Hexen und hasste in
seinem Alter die Juden, die er nicht hatte bekehren können.
Er genoss hohe Anerkennung unter den Nazis wegen seines beispielhaften
Antisemitismus. Deshalb erweiterte ich die Beilage um einen zweiten
Teil, der nur hier veröffentlicht ist, und nannte sie nicht
mehr Vom Hexenwahn zum Rassenwahn, sondern einfach
"Jagdgesellschaft".
Aus dem Buch sind hier meine Aufsätze
"Hexenbanner, Hexenmacher und Hexenjagden"
und
"Ostfriesische Hexenprozesse"
in voller Länge zu finden.
Zudem gebe ich auch diejenigen Texte und Fotos wieder, die ich
für die
Ausstellung
in
der Pewsumer Burg im Jahre 2002 angefertigt habe. Sie erläutern
kurz die geschichtlichen Zusammenhänge der Hexenverfolgungen
im Ostfriesland des 16. und 17. Jahrhunderts.
Ein Schauplatz von damals, der fast unverändert erhalten
blieb, ist die
Kirche von Krummhörn-Loquard
mit dem bald 500-jährigen geschnitzten Passions-Altar.
Sie können sie hier besichtigen. Neben dem Eingang sind an
vielen Krummhörner Kirchen Schaukästen, in denen Sie
Telefon-Nummern finden, die Sie anrufen können, wenn Sie
eine Führung erhalten wollen. So auch in Loquard.
Manche mögen vielleicht denken, die Zeit der Hexenverfolgngen
und des Aberglaubens sei vorbei. Sie täuschen sich. Sie sollten
öfter mal einen Blick in die
Zeitung
werfen, unter der Rubrik "Vermischtes" oder "Aus
aller Welt". Das sind sowieso die besten Seiten in den meisten
Zeitungen.
1. Ausstellung in Pewsum 2002 | 2. Hexenbanner, Hexenmacher und Hexenjagden |
3. Ostfriesische Hexenprozesse | 4. Jagdgesellschaft |