Meine Mutter mit Kopftuch um 1940

Meine Mutter mit Kopftuch um das Jahr 1940

Kopftuch-Verbot und Armuts-Prostitution

Im Zeitalter des Absolutismus vor 300 Jahren, als die damalige Obrigkeit, die Fürsten, noch absolute Verfügungsgewalt über das Leben ihrer Untertanen hatten, erließen sie strenge Kleiderverordnungen.

Was jemand anziehen durfte oder nicht, war bis in die kleinsten Einzelheiten geregelt. Die Einhaltung der Vorschriften wurde strengstens überwacht.

Auch in unserer inzwischen 73-jährigen Demokratie, die nur kurz durch das tausendjährige Reich unterbrochen wurde, hat sich der Staat sehr für das Privatleben seiner Bürger interessiert. Das geschah zuletzt mit Radikalen-Erlaß und Berufs-Verbot. Hier wurde die Gesinnung der Untertanen genauestens überprüft. Leider mußte der Staat, nicht zuletzt aus rechtlichen Gründen, von seiner fürsorglichen Überwachung Abstand nehmen.

Bei dem Kopftuch-Verbot für muslimische Lehrerinnen in zwei christlich regierten Bundesländern haben die Regierungen den Weg noch weiter zurück, zur Kleiderordnung beschritten. Das Vorgehen halte ich aber für nicht konsequent genug. Wo bleibt das Bart-Verbot für muslimische Lehrer? Hier, denke ich, ist die christliche Gleichstellung-Beauftragte gefordert.

Daß Niedersachsen in vorderster Reihe gegen den muslimischen Fundamentalismus in Form von Kopftüchern vorgeht, ist nicht verwunderlich. Schließlich setzt die neue Regierung gerade eine Schulreform zurück ins kaiserliche Deutschland durch.

Wir leben in nach-demokratischen Zeiten. Die Gesetze werden von Konzern-Managern gemacht und nach ihnen benannt (Hartz I - IV). Die Enteignung der Mehrheit zugunsten der Reichen wird im Bundestag mit fast 100%iger Mehrheit beschlossen. Die "Innovations-Offensive" auf dem Feld der (fast hätte ich geschrieben: Ehre) Bildung und Forschung soll der Stärkung der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt dienen. Das Recht des Einzelnen auf Bildung wird gar nicht erst erwähnt. Das Bildungs-Bündnis besteht aus Managern und Wissenschaftlern. Alle Macht geht von der Wirtschaft aus.

Bei so geringem Einfluß auf die wichtigen Entscheidungen suchen die Politiker nach Ersatz-Bereichen, in denen sie ihre Bedeutung demonstrieren können. Wenn sie schon sonst kaum etwas im Land bestimmen können, dann doch wenigstens die Kleiderordnung.

Dabei ist selbstverständlich, daß sie beim Verbot politisch-religiöser Symbole die christlichen ausnehmen. Das erspart eine Menge Ärger, handelt es sich doch bei den kopftuchtragenden muslimischen Lehrerinnen in Niedersachsen um eine verschwindend geringe Minderheit. Wahrscheinlich kann man sie an den fünf Fingern einer Hand abzählen. Kleiner Eingriff - große Wirkung in allen Medien. Ganz ökonomisch gedacht, wie es der heutigen Zeit entspricht. Außerdem können die christlichen Politiker so die 50er-Jahre-Ideologie der christlich-abendländisch-demokratischen Tradition reanimieren.


Bis vor etwa 300 Jahren haben der Staat und Christen aller Konfessionen noch Hexen verbrannt. Die Märchenbücher meiner Kindheit  malten das Bild der häßlichen Hexe, mit dem Kopftuch natürlich, die Hexe, die Hänsel mästen wollte, um ihn zu verspeisen.
Hexe auf dem Jahrmarkt in Groningen (NL)
Die alte Hexe mit dem unordentlichen Kopftuch


Die Frauen in Algerien trugen während des Unabhängigkeitskriegs gegen Frankreich wieder Kopftücher, auch wenn sie sie zuvor abgelegt hatten. Die Kolonialherren hatten sie aufgefordert, das Zeichen der Rückständigkeit abzulegen. Derweil folterten und mordeten die aufgeklärten französischen Soldaten mit modernsten Mitteln die Algerier, die für ihre Befreiung kämpften.

Ich kann deshalb gut verstehen, daß der Westen im Kolonialkrieg gegen den islamischen Terrorismus auch im Innern seine eigenen fundamentalen christlich-abendländischen Werte durchsetzt, jetzt, wo er der Mehrheit der Bevölkerung materiell nichts mehr zu bieten hat, nichts mehr bieten will. Jetzt muß unsere wehrhafte Demokratei in den entferntesten Gegenden der Welt mit Waffengewalt verteidigt (?) werden.

Derweil gehen zu Hause immer mehr verarmte, überschuldete Frauen auf den Straßenstrich (Monitor, 29.1.2004, mit dem Beispiel Dortmund). Sie gehen anschaffen für Miete, Heizung, Strom, um sich und ihr Kind oder ihre Kinder irgendwie durchzubringen. So wie die Arbeit (sprich: die Menschen) in Deutschland immer billiger gemacht wird, so werden auch die Frauen immer billiger. Die Konkurrenz auf dem Straßen- und Kneipenstrich, in den Puffs, wächst. Eine halbe Million osteuropäischer Frauen sind in Westeuropa seit dem Sieg unseres überlegenen Systems dazugekommen.

Unternehmer, Politiker, Freier und Zuhälter haben allen Grund zum Feiern.

Die Mutter, die anschaffen geht, um sich und ihr Kind über Wasser zu halten, hat wahrscheinlich andere Sorgen als die, ob die islamische Lehrerin ihres Kindes ein Kopftuch trägt. Und bei dem Geschwätz von PolitikerInnenn und BischöfInnen über das Kopftuch als Zeichen der Unterdrückung der Frau im Islam schaltet sie wohl besser den Fernseher ab, eh sie ihn kaputtschlägt.

Wäre ich eine Frau, würde ich darüber nachdenken, ob ich nicht mal ein Kopftuch  tragen sollte - wie meine Mutter vor über 60 Jahren. Vielleicht kommt das ja wieder in Mode. Was macht bloß der Kultusminister, wenn eine nicht-muslimische Frau, Lehrerin am Ende, ein Kopftuch trägt und sagt, das gefiele ihr einfach? Brandmarkt er das als Feind-Propaganda, Landesverrat? Läßt er sie auf die christlich-abendländischen Grundwerte schwören? Oder darf sie als Christin ganz einfach ein Kopftuch tragen?